Ich sah nach oben. Der riesige Turm ragte direkt vor mir auf. Ich stand so nah vor den rotbraunen Steinen, dass ich die Uhr, die ganz oben angebracht war, gar nicht erkennen konnte. Tief atmete ich ein und aus, zählte langsam bis zehn, um mich zu beruhigen. Doch mein Herz schlug wilder als zuvor. Jetzt war der Moment gekommen, der Zeitpunkt, alle Ängste zu vergessen, den Sprung zu wagen, über die Planke zu gehen. Ich zog die Riemen an meinen Handschuhen fester, schnürte ein letztes Mal die Stiefel und griff nach den Eisenstangen, die den Turm umschlungen. Der Aufstieg war lang und ich hatte nicht mehr viel Zeit, aber ich zwang mich, jeden Zug nach oben langsam zu bewältigen. Eile würde nur dazu führen, herunterzufallen. Wochen hatte ich mich auf diesen Augenblick vorbereitet, hatte trainiert und Albträume über Albträume gehabt. Träume, in denen ich von den Eisenstangen herunter geworfen wurde. Dunkle Schatten waren erschienen, um mir die Sicht zu rauben. Schwarze Monster mit glühend roten Augen hatten den Turm verteidigt. Nie war es so still und ruhig gewesen, wie jetzt in der Wirklichkeit. Ich musste da hoch, es war mein Ausweg. Das Einzige, was mich wirklich retten konnte. Mein Unterbewusstsein hatte den Weg so schwierig gezeichnet, dass ich jetzt überrascht und erleichtert war, weil keiner im Weg stand. Die Eisenstangen blieben kalt und leblos, keiner verteidigte die Uhr. Trotzdem ging mein Atem schneller, die Kletterei forderte ihren Tribut. Endlich kam ich oben an. Die Ziffern der Uhr waren so groß, dass ich sie aus der Nähe kaum lesen konnte. Die Zeiger ragten über mich hinaus. Sie waren fast geschlossen. Die Zeit lief mir davon. Ich sprang hoch, um die Stange über der Uhr zu greifen, hangelte mich genau über die Zwölf, lauschte dem Rattern der Zahnräder im Inneren, machte mich zum Sprung bereit. Die Anspannung in meinem Körper erreichte ihren Höhepunkt, ich fühlte das nahende Zerreißen. Dann kam der Moment. Der Minutenzeiger rutschte an den Stundenzeiger heran und kurz bevor sie ganz übereinander lagen, ließ ich los und katapultierte mich in das nur eine Sekunde bestehende Portal. Dann war ich hindurch, ich hatte es geschafft.
Kommentar schreiben